Gipfelkreuze in Tirol. Eine Kulturgeschichte mit Gegenwartsbezug
Zur Entstehung des Buches
Im alltäglichen Leben sind wir wiederholt mit Nachrichten zu Kirchenaustritten, Priestermangel und Verzicht auf den regelmäßigen – ja sogar auf den sporadischen – Besuch der heiligen Messe konfrontiert. Diese kurze Aufzählung ließe sich fortführen. Der Soziologe Hubert Knoblauch sagt dazu: „Dass die Religion schwindet, wurde zu einem Gemeinplatz nicht nur in der soziologischen Forschung.“[1] Wir leben in einer säkularisierten Zeit und verzichten über weite Strecken auf religiöses Denken und die dazugehörigen Gefühle und Erfahrungen, so in etwa das medial gezeichnete Bild.
Rationalisierung und Säkularisierung greifen in das Denken und Handeln der Menschen ein. Damit ging nach der Volkskundlerin Angela Treiber die These einher, dass der gesellschaftliche Stellenwert und der Einfluss von Religion entsprechend zunehmender Rationalisierung zurück gingen.[2]
Wesentlich zu dieser Überzeugung beigetragen hat die geistesgeschichtliche Epoche der Aufklärung. Dem rationalen Denken sei der Fortschritt von Wissenschaft und Technik zu verdanken, es „[…] lasse das Bedürfnis und das Erleben von Transzendenz verschwinden. Je modernisierter eine Gesellschaft sei, desto gesellschaftlich irrelevanter werde die Religion.“[3] Religion wurde als »Opium des Volkes« (Marx) bezeichnet, oder als »Projektion unerfüllter Sehnsüchte« (Feuerbach) und Weber sprach von der »Entzauberung der Welt« (Weber)[4]; das alles sind Positionen, die in der europäischen Geistesgeschichte heftig rezipiert wurden und werden.
Aber: Ist das so wirklich behauptbar? Lassen sich doch - zuerst einmal ganz oberflächlich betrachtet - immer noch zahlreiche Markierungen des Christentum in unserem Alltag feststellen. Das beginnt mit dem täglichen »Grüß Gott«, dem Verhalten im Zusammenhang mit Todesereignissen und natürlich mit dem Bestücken „der Flur in katholischen Gegenden mit Kapellen, Kalvarienbergen, Bildstöcken und Flurkreuzen, in Berggegenden auch mit Gipfelkreuzen.“[5]
„Nun sag´, wie hast du´s mit der Religion?“ fragt das Gretchen den Faust und stellt ihm damit die bekannte Gretchenfrage. Doch Faust antwortet ausweichend. Gretchens Frage nach dem Wie eröffnet viele Antwortmöglichkeiten und kann als symbolhafter Ausgangspunkt für die Idee zum Buch verstanden werden.Dabei ging es mir aber nicht darum, die Wahrhaftigkeit religiöser Praktiken zu hinterfragen, sondern nach volkskundlichen Regeln zu erforschen, was die Subjekte, die Individuen, die Menschen nach außen wenden, was sie objektivieren.[6]
Was liegt für einen bergsteigenden Ethnologen/Kulturanthropologen näher, als die sich anbietenden Synergien zu nutzen und eben Gipfelkreuzsetzungen als Untersuchungsgegenstände ins Auge zu fassen. Entdeckt habe ich dabei einen auf einem traditionellen Boden aufbauenden lebendigen Stellenwert individualisierter und privatisierter Glaubenshandlungen, transformiert in den alpinen Naturraum, wobei der Mensch als Gestalter seiner Religion auftritt.
Der christliche Glaube blickt auf eine 2000jährige Historie zurück, das Kreuz ist das wichtigste Symbol dazu. Gipfelkreuze waren nicht immer schon auf den Bergspitzen montiert, erst mit dem sich ausprägenden Alpinismus entwickelte sich dieses Phänomen. Gipfelkreuze sind Symbole des christlichen Glaubens und markieren die höchsten Punkte der Berge. Als Zeichen kollektiver oder individueller religiöser Handlungen ermöglichen sie uns Einblicke in die Glaubenswelten der Menschen.
Wer stellt überhaupt Gipfelkreuze auf? Und warum tun das die Menschen? Wie passt dieses Phänomen in eine Zeit der Säkularisierung? Die Gipfelkreuze müssen aber auch etwas differenzierter gesehen werden. Als jüngste kulturell-religiöse Erscheinungen auf den Gipfeln werden heute an den Kreuzen immer öfter buddhistische Gebetsfahnen befestigt; ja selbst die Ablehnung von Gipfelkreuzaufstellungen ist ein nicht zu übersehendes Begleitphänomen. Auf alle diese Fragen suchte ich Antworten und lade den interessierten Leser ein, diese kulturellen Aspekte einer Naturlandschaft kennen zu lernen.
Dazu habe ich zahlreiche Gipfelkreuzsetzungen untersucht, Interviews geführt und natürlich auch Berge bestiegen und die Gipfelkreuze und die Gipfelbücher untersucht.
Folgende Gipfel und deren Kreuze sind im Buch „Gipfelkreuze in Tirol. Eine Kulturgeschichte mit Gegenwartsbezug“ besprochen oder zumindest erwähnt:
Gipfelregister | |
Achentaler Mittagskogel | 119 |
Acherkogel | 125, 196 |
Agglspitze | 150 |
Ankogel | 50 |
Aperer Freiger | 102 ff, 139, 217 |
Arbiskogel | 95 |
Arbiskopf | 97 |
Arnplattenspitze | 76, 145, 167 |
Ayers Rock | 8 |
Bärenkopf | 162 |
Birkkarspitze | 72 ff, 153 |
Birnhorn | 50 |
Böses Weibele (Lienz) | 118 |
Brandjoch | 75, 163 |
Breiteggspitze | 98 |
Breite Krone | 201 |
Burgstallwand | 64 |
Cerro Galan | 14 |
Cho Oyu | 204 |
Dachstein | 50 |
Durrenseespitze | 151, 152 |
Eggerberg (Sillian) | 34 |
Ellmauer Halt | 56 ff |
Erzberg | 23, 36, 38, 47, 186, 217 |
Figerhorn | 96 |
Floch | 162 |
Frau Hitt | 29 |
Freispitze | 152 |
Fujiyama | 8 |
Fundusfeiler | 196 |
Gaisberg | 49 |
Galtjoch | 169 ff |
Gamsjoch | 109 ff, 144, 196, 211 |
Gartjoch | 162 |
Gilfert | 154 ff, 197 |
Glockturm | 84 |
Glungezer | 75 |
Golzentipp | 217 |
Grafmartspitze | 156 ff |
Große Kinigat | 89 |
Großer Solstein | 74 |
Großglockner | 9, 16, 36, 37, 40 ff, 50, 187 |
Grünberger | 157 |
Gschnitzer Tribulaun | 81 |
Habicht | 51, 134 |
Habicht | 70 |
Hafelekar | 117 |
Haller Zunterkopf | 124 |
Haneburger | 76, 209 |
Hanger | 95 |
Hechenberg | 79 |
Hinterer Daunkopf | 174 |
Hoadl | 83 |
Hocheder | 85 ff, 88 |
Hochiss | 167 |
Hochvogel | 63 |
Hochwilde | 9 |
Hohe Burg | 149 |
Hohe Kirche | 93, 137 |
Hohe Munde | 76 |
Hohe Warte | 124 |
Hoher Göll | 43 |
Innere Sommerwand | 110 ff, 142, 196, 198 |
Isskogel | 92 |
Jägerkarspitzen | 40 |
Jochgrubenkopf | 162 |
Kailash | 8, 204 |
Kaltwasserkarspitze | 211 |
Karkopf | 119 |
Kellerjoch | 159 |
Klammschober | 156 |
Kleiner Gamsstein | 132 |
Kleiner Gilfert | 104ff, 138 |
Kleiner Solstein | 79, 214 |
Kleiner Tribulaun | 175 |
Kleinglockner | 36, 40, 41, 186, 214 |
Klimmspitze | 85 ff |
Kohlbergspitze | 88 |
Königsspitze | 40 |
Kreuzbühel | 165 |
Kreuzjöchle | 150 |
Kreuzspitze (Innervillgraten) | 88 |
Kuhscheibe | 174 |
Längentaler Weißer Kogel | 171 ff |
Lehner Grieskogel | 146 |
Lisener (Lüsener) Fernerkogel | 51, 209 |
Lizumer Reckner | 184 |
Mairspitze | 162 |
Matterhorn | 18 |
Messeling | 120 |
Mitterkarkopf | 89 |
Mittlere Jägerkarspitze | 115 ff, 211 |
Mont Aiguille | 14 |
Mont Blanc | 16, 51 |
Mont Ventoux | 13 |
Mount Kenya | 8 |
Nanga Parbat | 204 |
Naviser Sonnenspitze | 156, 158 |
Neunerköpfle | 167 |
Nockspitze | 68 |
Obernberger Tribulaun | 164, 175 |
Olperer | 68, 108, 167 |
Ortler | 16, 40 |
Östliche Kaminspitze | 76 |
Östlicher Daunkogel | 118 |
Östlicher Feuerstein | 89 |
Parseierspitze | 145, 159 |
Patscherkofel | 29 |
Peilspitze | 121 ff |
Pfannspitze | 124 |
Pfeisspitze | 145 |
Pflerscher Tribulan | 9, 140, 175 |
Pfoner Kreuzjöchl | 156 |
Pfriemesköpfl | 68 |
Pfriemeswand | 214 |
Piz Linard | 150 |
Plattigkogel | 118 |
Plose | 34 |
Regenstein | 112 |
Rinnenspitze | 120 |
Rotspitze | 83 |
Rudersburg | 119 |
S(e)eblesspitze | 156 |
Sattelberg | 165 |
Sattelkopf | 76, 165 |
Schafseitenspitze | 156, 157 |
Scheibenspitze | 157 |
Schlicker Kreuzjoch (Sennjoch) | 145, 217 |
Schlickerseespitze | 83 |
Schönbühele | 76 |
Schrandele | 118 |
Schrankogel | 172 ff |
Schützenmahd | 70 |
Seespitze | 118 |
Serles | 8, 126 ff, 141, 209, 217 |
Sölder Grieskogel | 97 |
Sonnenjoch | 163 |
Sonnenstein | 64 |
Sonnjoch | 162 |
Sonnklarspitze | 65 |
Sorapiss | 18 |
Spießnägel | 165 |
Spitzer Stein | 209 |
Spitzmandl | 68, 209 |
Steingrubenkogel | 161 |
Stempeljoch(spitze) | 84, 196 |
Stubaier Wildspitze | 83 |
Südlichs Fluchthorn | 182 ff |
Sulzspitze | 98 |
Talleitspitze | 196 |
Tarntaler Köpfe | 156, 157 |
Thaurer Lattenspitze | 195 |
Thaurer Zunterlopf | 98 |
Theirjoch | 97 |
Treffauer | 98 |
Tschirgant | 82, 209 |
Venet | 165 |
Vikarspitze | 214 |
Vordere Kendelspitze | 165 |
Vordere Sommerwand | 119 |
Vorderes Brandjoch | 219 |
Vorderes Kreuzjoch | 85 ff, 136 |
Vorderes Sonnwendjoch | 47 ff, 145 |
Wanneck | 80 |
Watzespitze | 9, 114, 196 |
Watzmann | 16, 38, 43, 44, 49 |
Wechselspitze | 84 |
Weiße Wand | 124 |
Weißes Wandl | 147 ff, 149 |
Weißkugel | 72 |
Weißseespitze | 98 |
Westliche Hochgrubachspitze | 97 |
Wetterkreuzspitze (Ried/Zillertal) | 97 |
Wilder Freiger | 79 |
Wildspitze | 80 |
Zuckerhütl | 63 ff, 187, 208, 217 |
Zugspitze | 16, 52 ff, 133 |
Die Ausführungen im Buch verstehen sich als eine deskriptive Darstellung von Gipfelkreuzsetzungen in Tirol. Bergsteiger können also die Geschichten von Gipfelkreuzen ihnen bekannter und unbekannter Gipfel nachvollziehen. Aber auch ganz allgemein werden kulturell-religiös Interessierte angesprochen und können die im Buch angestellten Überlegungen als eine Basisarbeit verstehen, die dazu dient, Geschichten und Hintergründe zu Glaubensvorstellungen von exponierten Orten ins Tal herunter zu holen.
[1]Knoblauch, Hubert: Populäre Religion. Auf dem Weg in eine neue spirituelle Gesellschaft. Frankfurt/New York 2009, S. 15
[2]Treiber, Angela: „Geteilte“ Räume: Zum kulturellen Umgang mit religiösen Mehrdeutigkeiten. In: Schöne, Anja; Groschwitz, Helmut (Hrsg.): Religiosität und Spiritualität. Fragen, Kompetenzen, Ergebnisse. Münster, New York 2014, S. 16
[3]Ebd.
[4]Vgl. dazu: Liessmann, Konrad Paul: Gretchens Frage und warum Faust darauf keine Antwort wusste. In: Ders. (Hrsg.): Die Gretchenfrage. „Nun sag´, wie hast du´s mit der Religion?“ Philosophicum Lech, Band 11, Wien 2008, S. 13 ff
[5]Scharfe, Martin: Über die Religion. Glaube und Zweifel in der Volkskultur. Köln, Weimar, Wien 2004, S. 4
[6] Vgl. dazu: Scharfe, Martin: Soll und kann die Erforschung subjektiver Frömmigkeit das Ziel volkskundlich-kulturwissenschaftlicher Tätigkeit sein? In: Mohrmann, Ruth-E. (Hg.): Individuum und Frömmigkeit. Volkskundliche Studien zum 19. und 20. Jahrhundert. Münster/New York/München/Berlin 1997, S. 150